Montag, 31. Mai 2010

(K)einer räumt auf

Die S-Bahntüren gehen auf und er steigt aus. Deutsch hört sich wieder normal an, die neue Wohnung ist gestrichen und eingeräumt. „Einsteigen bitte... Zuuuurückbleiben bitte.“ Das Signal ertönt, aber er ist schon auf der Brücke zum Ausgang Georgenstraße. Auf dem Weg seine Koordinatorin zu treffen um alles zu richten. Das Praktikum ist vorbei, die Credits verdient, das muss jetzt alles in die richtigen Formulare eingetragen werden. Die schwere Tür am Haupteingang öffnet automatisch, das ist neu und auch das Foyer sieht anders aus. Die Wände neu gestrichen, das Marmor auf Hochglanz poliert, das macht schon Eindruck. Die Treppen hoch und die Gesichter der Nobels schauen wieder auf ihn herab. Daran hat sich nichts geändert, nur die Rahmen sind jetzt golden und nicht mehr weiss. In den Seitenfluren hat sich aber nichts verändert, es riecht immernoch nach DDR-Muff und alten Büchern, von der Decke bröckelt die Farbe, wenn man nicht aupasst bekommt man ab und zu eine Flocke ab und das ist schlimmer als Kreidestaub. Vor der Tür stehen zwei Leute, die warten eingelassen zu werden, er hat einen Termin, aber das interessiert hier niemanden. Auf den Ohren Lexy and K-Paul, setzt er sich auf die Treppe und wartet. Wenigstens fragen die Kommilitonen (lange nicht benutzt das Wort) ob man darauf wartet Frau Olbert zu sehen. Dann nach gefühlten zwei Stunden öffnet sich die Tür (Jean Jaque Smoothie auf dem Ipod) und Frau Olbert bittet ihn herein.

„Der verlorene Sohn kehrt heim, wie?“

„Ja, kann man so sagen.“

„Ihr Superviser hat erzählt, sie haben da in ihren letzten Tagen einen ziemlichen Aufruhr veranstaltet. Ist es denn wirklich so schlimm hier?“

„Nein, das nicht, aber dort war es halt doch besser. Persönlicher.“

„Ach so, das kann ich verstehen. An ihrer Stelle hätte ich warscheinlich genauso gehandelt. Aber sie wissen ja wie das damals war zu DDR Zeiten. War ja schon ein Unding, wenn man Amerikanistik studiert hat. Sie sollten froh sein, dass sie überhaupt rüber durften.“

Frau Olbert fängt immer mit DDR Geschichten an, egal worum es geht.

„Was haben sie denn heute für mich?“

„Ich hab meinen Abschlussbericht vom College dabei, mein Transcript und die Hausarbeiten, soweit sie korrigiert verfügbar waren.“

„Sehr gut, zeigen sie mal.“

Eine halbe Stunde später ist alles besprochen. Er ist wieder Student der Humboldt Universität. „Die Credits werden dann übertragen, machen sie sich keine Sorgen, das bekommen wir schon hin. Aber hier können sie sich solche Spirenzchen wie in Grinnell nicht erlauben.“

„Würde ja sicherlich auch nicht den selben Effekt haben.“

„Ach, sagen sie das nicht, Andreas. Wir sind immer noch im Osten“

„Ja...“

„Also, dann vergessen sie mal nicht sich für ihre Kurse anzumelden und kommen sie in zwei Wochen nochmal, damit wir über den Praktikumsbericht reden können.“

„Gut, mach ich.“

Dann schließt er die Tür hinter sich. Auf dem Flur setzt er die Kopfhörer (Marke Elecom) wieder auf, die alte Routine ist wieder da. Nichts hören und nichts sagen. Das Sehen lässt sich beim Laufen meist nicht vermeiden. Wieder den Gang hinunter und in die Mensa. Die Mensa haben sie auch renoviert, als er im Dezember da war stand noch ein Ersatzbau auf dem Rasen mitten auf dem Hinterhof, wo jetzt nur kahle Erde ist. Die Mensacard funktioniert noch und es reicht sogar für eine Schüssel Milchreis. Die Aufmachung ist neu, aber der Inhalt ist immernoch der selbe Dreck. An den Tischen sitzen sie, die Berliner Neohippies, die sich für das erkorene Geschlecht halten, am Ende aber doch irgendwo in Büros oder Schlimmerem enden werden. An einem Tisch am Ende sitzt Kemp, wenigstens der ist geblieben. Er winkt ihm zu und dann wird der Fraß konsumiert, wie Kemp das ausdrückt.

„Hast mir ja gar nich bescheid gesagt, dass du wieder da bist.“

„Sorry, hatte ne Menge Scheiß zu erledigen.“

„Haste schon ne Bude?“

„Nee, keine Kohle. Muss jetz bei meiner Mutter wohnen.“

„Ach du Scheiße. Und das geht?“

„Muss ja.“

„Uh huh. Und bleibst du jetz oder wie?“

„Muss ja. Hat am Ende ja alles nichts geholfen.“

„Nee, hab schon gehört, auf Facebook und so. Was haben sie dir denn gesagt?“

„Gar nichts haben sie gesagt, die Ficker. Der Präsident hat mich 5 Tage vor Abflug in sein Büro bestellt und mir groß Hoffnungen gemacht, dass ich als erster nachrücke, dass ich ganz oben in der Liste stehe, weil ich ja n toller Hengst bin, gute Noten, engagiert und so, aber nix.“

„Und das Ding mit den Unterschriften?“

„Waste of Time Digger. Den halben Campus hab ich mobilisiert, die Nächte nur drei Stunden geschlafen um neue Dinger zu organisieren, 800 Unterschriften alleine von Studenten und dann noch mal 100 von Profs und die Wichser im Admissions Office nehmen mir die Unterschriften ab und sagen: ‚We’ll look into it.’ N Scheiss haben die gemacht.“

„Despoten, mehr nicht.“

„Hab ich auch gesagt. Was is das für n Scheißladen, wenn die die Meinung eines Großteils der Studenten und so weiter einfach ignorieren?“

„Despotenscheißladen.“

„Jau. Haste Bock einen trinken zu gehn?“

„Schon. Haste Geld?“

„Seh ich so aus?“

„Nö. Also nich saufen?“

„Doch doch. Lass ma zur Alkopole gehn. Der Schriftsteller der da war hat für die irgendwas geschrieben und dafür so ne Bierkarte bekommen mit der er unbegrenzt bei denen saufen kann. Er is nich so oft in Berlin hat er gesagt und sie mir gegeben.“

„Geile Sache. Los gehts. Vollen Magen haben wir ja.“

„Eben. Sieht die Kotze nachher lustig aus. Bei dir Fleischbrei, bei mir Milchreis mit Biersauce und Kirschstücken.“

Sie lachen laut, damit es das allgemeine Gelaber in der Mensa übertönt und gehen. Die Teller lassen sie stehen. Die Alkopole in der Friedrichstaße gibt es noch, in der hintersten Ecke und immernoch die seltsamsten Gestalten darin, aber rauchen darf man hier entgültig nicht mehr. Bei den Zigarettenpreisen auch nicht rentabel. Und die Zigaretten, sie seine Mutter ihm gestopft hat, würde auch nur noch ein verzweifelter Fremdenlegionär rauchen.

„Zwei Bier für die Männer von der Irrenanstalt!“, grölt er als sie sich an ein kleines Tischchen setzen.

„Kommt sofort Bürschchen.“

„So und was is jetz mit der Polin?“, fragt Kemp.

„Welcher?“

„Wie welcher? Hast du ne ganze Batterie oder was?“

„Sozusagen. Von der hier hab ich noch nix wieder gehört und die von drüben.. Naja, was soll da sein, die seh ich nich wieder. Ich fahr doch nich nach Warschau um da den Pakt zu erfüllen.“

„Und warum kommt sie nich?“

„Auch keine Kohle. Die is froh, dass das College ihr alles bezahlt. Is doch mal so“, das Bier kommt an, sie stoßen an und nehmen tiefe Hübe, „Für alles is Geld da, nur für nen armen Schlucker aus dem reichen Deutschland nich. Raffen die doch nich, dass das reichste Land der EU Leute hat, die nich wissen was sie morgen fressen sollen.“

„Na wenigstens haste immer Bier zu saufen. Die Leber bedankt sich.“

„Jau. Und bei dir? Was is mit Carole?“

„Nix is mit der. Ich brings nich fertig ihr das ins Gesicht zu sagen und sie raffts auch nicht. Mittlerweile hat sie auch n Typen, da nehm ich mein Eisen eh aus dem Feuer.“

„Richtig so. Bringt nur Ärger.“

Zwei Stunden später, es geht ans Bezahlen.

„Macht dann fünfundzwanzig dreiundsiebzig Meister.“

Er kramt in seinem Portemonnaie und endlich kommt die Karte zum Vorschein. Er gibt sie dem Wirt.

„Was das denn?“ fragt er.

„Na die Flatrate Karte von eurem Verein.“ stammelt er.

„Noch nie gesehn. Akzeptier ich nich.“

„Wie, akzeptier ich nich? Willst du mich verarschen?“

„Bleib ruhig Mann.“ flüstert ihm Kemp ins Ohr.

„Scheiß auf ruhig bleiben! Ich bin schon viel zu lange ruhig geblieben. Ich hab die Schnauze langsam voll vom verarscht werden. Das is ne Scheiß Flatrate Karte Mann, die ich bekommen hab weil ich nen Scheiß Artikel für ne Scheiß Anthologie für euern Laden geschrieben habe und ihr mich nich bezahlen konntet. Also zieh das Ding durch deine Maschine wie ne Kreditkarte und gut is!“

Zack, ein reißender Schmerz in der Wange und die Umgebung erhebt sich. Dumpfer Aufprall auf dem Hinterkopf, blutiger Geschmack im vorderen Rachenraum. Einen Moment liegt er regungslos da, bleibt liegen. Er hört die Kasse klimpern.

„Nimm den Kassenbon.“, sagt er zu Kemp.

Dann bewegt sich die Umgebung wieder kurz. Einen Moment lang bewegt sich gar nichts mehr und er sieht Paulas Brille auf dem Schreibtisch im German House neben ihren Pillen liegen. „Are you okay?“ fragt sie ihn. Er dreht sich um und sie liegt im Bett und liest. Wie macht sie das ohne Brille, fragt er sich. „Yeah sure, everything is fine. Why?“ , „Well you just bumped your head on the desk.“ , „Did I?” , „Yes, you did. Maybe that’s why no one understands you Germans, it’s because you bumped your heads on your desks one time too often.”

„Don’t be ridiculous.“

„Was meinst du ‚Don’t be ridiculous?’ Alter du hast da drin grad ne ziemliche Szene abgezogen!“

Er öffnet die Augen und erkennt die Umgebung. Rossmann gegenüber, daneben über einem Schuhladen das Finnland Institut, allerdings nicht von der Humboldt.

„Ich hab einfach die Schnauze voll. Hast du den Kassenbon?“

„Ja, wieso?“

„Und die Karte?“

„Ja, hat er hinterhergeworfen. Wieso?“

„Weil ich da anrufe und frage, was die Scheiße soll. Danke, dass du bezahlt hast.“

„Logisch. Komm wir gehn nach hause.“

„Und wo soll das bitteschön sein?“ Er ist wieder auf den Füßen, die Trunkenheit lockert Zunge und Gefühle.

„Heut Nacht bei mir.“

Er kotzt auf den Bordstein. „Siehst du? Milchreis mit Biersauce.“ Und lacht.

„Jaja, der Fleischbrei bleibt aber drinnen.“

„Sagst du jetzt!“

Der nächste morgen beginnt mit Kopfschmerzen und Harndrang auf einer Couch in Neukölln. An der Wand über der Couch ein Bild aus Anatolien mit nostalgischem Motiv und dem Hochzeitsbild von Kemps Bruder und dessen Frau. Es ist schon hell, aber die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Im Zimmer sind mindestens 30 Grad, es wird ein heisser Tag.

Auf dem Balkon eine von Mutters gestopften Zigaretten. Am Ende ist er ja doch nur Fremdenlegionär. Und ein schlechter noch dazu. Das Maul müsste man mal aufreissen wenns drauf ankommt und nicht nur immer fein nicken. Fressen polieren und nicht nur shake hands. Aus Fehlern lernt man.

Aber erst wenns zu spät ist.

Samstag, 8. Mai 2010

Waking in the Tube

The morning shook my dream away
and waking seems so hard today.
I'm moving out of my warmened seat,
freshening my restless, tired eyes.
I'll see the day and what I'll get,
my thoughts are running yet, like mice.
I'm counting them and watch their way
into my deepest feeling's clay.

The train is running towards the dawn
and it's people's faces seem to mawn.
Doors do open, doors do shut,
the mawning come in and soon they leave.
Wondering which connection I may cut,
the scream of hunger by a crow.
Beyond the scratched windows glows some lawn,
the window's writing seems to warn.

'Don't scratch my glasses please!', it says
to me, who stands up and readies to go his ways.
The door does open and I step out
into the crowded station's blackened snow.
There is a man, can't hear him shout,
can't hear the screaming hungry crow.
Yet already I'm counting down my days
and if I'll die, so it be the case.

Ursprüngliche Veröffentlichung: 24.4.2009