Mittwoch, 21. Dezember 2011

Vor dem Aufbruch

Sie erhielten das Feuer noch eine Weile um sich daran zu wärmen, während sie das Kaninchen mit Knäckebrot und Kaffee aßen. Als das Kaninchen gar war, sah es nicht mehr so groß aus, es war regelrecht zusammengetrocknet. Das Fleisch war zwar zart, und Björn hatte es auch nicht mit dem Salz übertrieben, es war genau richtig. Dennoch schmeckte und sah man, dass es den Bewohnern der Gegend schwer fiel hier zu entfalten, sie schienen zumindest nicht an einem Leben in Überfluss zu leiden.

Björn tröstete sich mit dem Gedanken, dass das Tier wohl ohnehin nicht über den Winter gekommen wäre, so mager, wie es war. Dieser Gedanke bereitete ihm Erleichterung darüber, dass sie um selbst besser durch zu kommen darauf angewiesen waren Chancen zu nutzen und so Leben zu nehmen.

Als sie beide satt waren, machte er sich daran die Knochen auszulösen und das übrige Fleisch in eine Plastiktüre zu tun, damit sie später, vielleicht erst am Abend, eine dünne Suppe damit aufwerten konnten. Der Pelz war am Feuerrand gut abgetrocknet und er rollte ihn ein und tat ihn zu der Falle in die Umhängetasche, wo Jäger und Beute nun einige Zeit zusammen reisen würden, bis sie auf Nomaden oder eine Karawane treffen und versuchen würden, das Fell gegen Nahrung, oder was ihnen sonst brauchbares dafür geboten werden würde, einzutauschen. Für den Pelz des Fuchses hatten sie genug Brot und Trockenfleisch für zwei Wochen bekommen und dazu noch ein Beutelchen Tabak, von dem Thorsten noch immer manchmal abends seine Pfeife stopfte. Für das Fell eines Kaninchens, noch dazu eines so kleinen, konnten sie freilich keine so große Ausbeute erwarten. In der Einöde zählte aber selbst ein kleiner Pelz noch immer mehr, als die vergilbten Scheine, die sie in irgendeiner Ecke in einem der Rucksäcke aufbewahrten.

Thorsten baute in der Zwischenzeit das Zelt ab. Sie waren mittlerweile auf ihre Aufgaben eingestimmt und vergeudeten kaum noch Zeit. Die Routine der sich jeden Tag wiederholenden Tätigkeiten hatte sie flink gemacht. Nachdem er die Schlafsäcke, die zum Trocknen im Gras gelegen hatten zusammengerollt und in ihre Säcke gestopft hatte, zog er die Heringe, falte das Oberzelt zusammen, räumte die restlichen Sachen aus dem Zelt, zog die Zeltstangen und faltete schließlich auch das Unterzelt. Jeder von ihnen trug eines der beiden. Kurz darauf war alles wieder in den beiden Rucksäcken verstaut, sodass beide etwa gleich viel wogen. Einer trug, die Heringe und die Umhängetasche, der andere den Wasserkanister und keiner weniger als der andere.

Als alles erledigt war, setzte sich Thorsten noch einmal zu Björn ans Feuer, der gerade die Tassen erst mit Gras auswischte und sie dann mit Asche und Erde aus dem Feuer abtrocknete, in jede hinein pustete um nicht unnötigen Staub mitzunehmen. „Wir müssen zusehen, dass wir heute an einem See oder einem Bach vorbeikommen.“, sagte er zu Björn, der gerade letzte Bröckchen aus einer der Tassen fingerte.

„Besser keinen See, das bedeutet nur Umweg.“

„Ich würde gerne mal wieder Fisch essen.“, sagte Thorsten, der sich daran erinnerte, wie sie einmal, vor knapp drei Wochen an einem Back im flachen Wasser Forellen hatten fangen können. Sie hatten Äste an der flachsten Stelle versenkt und sie dann, als die Forellen sich daran gewöhnt hatten, dass da Äste in ihrem Wasser lagen, mit einem Ruck herausgezogen und so die Fische, die dumm genug waren auf die Posse hereinzufallen, ans Ufer geschleudert. Allerdings waren es nur zwei gewesen, die sich so etwas vormachen hatten lassen. Es war dennoch genug für sie beide gewesen und die einfache Formel: Häuten, auch wenn es hier Schuppen gewesen war, Salzen und Garen, hatte ihre Erwartungen erfüllt.

„Meinst du wirklich, dass das noch mal klappt? Ich habe seit drei Tagen keinen Baum gesehen, der dafür taugen würde und meine Angelausrüstung habe ich leider auch nicht dabei.“ Björn lachte über seinen eigenen Scherz, aber Thorsten schien noch bei den Forellen von früher zu sein. „Gib mir mal die Karte, sagte er und als er auf Thorstens grauen Rucksack zeigte, erwachte dieser aus seiner Erinnerung.

Sie hatten eine recht detaillierte Karte von diesem Gebiet. Das war aber nicht immer so. Sie mussten sich auf die Karten verlassen, die sie in den Siedlungen, die sie passierten kaufen konnten. Wenn sie eine Karte durchlaufen hatten, wartete am östlichen Ende irgendwo eine größere Siedlung, wo sie Vorräte kaufen konnten, eine Nacht in einem richtigen Bett schlafen und sich und ihre Wäsche mit manchmal sogar warmen Wasser waschen konnten. Sie schrieben dann Briefe nach hause, Björn an seinen Vater, Thorsten an seine Eltern und seine Freundin, die sicherlich mit jedem Brief hoffte, er würde die Dummheit dieser Unternehmung endlich einsehen und schreiben, dass er nach hause käme. Stattdessen schrieben sie aber meist nur, das alles in Ordnung sei, sie gesund waren, manchmal mussten sie dann die Wahrheit etwas dehnen, und wo sie gerade waren, was sie gesehen und erlebt hatten. Oft waren das Berichte von kleinen Unfällen, die immer kleiner wurden, je länger sie davon schrieben, seltsamen Begegnungen und sehr selten von kleinen Erfolgen beim Fangen von Tieren.

Manchmal, wenn sie etwas gesehen hatten, was ihnen groß und unbekannt gewesen war, schrieben sie auch das, gaben sich die größte Mühe das Erlebte in Worte zu fassen, fanden das Geschriebene dann aber meist doch zu nicht ausreichend um den Moment wirklich zu fassen. Wie sollte man auch ausdrücken, wie es sich anfühlt, wenn man zum ersten Mal auf die weißen Rücken jener Titanen blickte, wenn sie das erste mal schlafend am Horizont zu erahnen waren und ihnen so verrieten, dass sie dem Himalaya zum ersten Mal nahe gekommen waren? Oder der Moment als sie auf einmal vor einem Owoo gestanden hatten, wovon sie zuvor nur gehört oder gelesen hatten? Die Plastikfähnchen, die hektisch im Wind flatterten und das leise Knirschen der Kiesel, die sich unsichtbar zu rühren schienen? Sie hatten in ihrem Erstaunen vergessen, wie oft und in welcher Richtung sie den Owoo umrunden mussten und hatten ihm zu Füßen übernachtet. Am nächsten Tag beobachteten sie dann eine kleine Yak Karawane bei ihrer Umrundung und warteten verlegen bis sie sich entfernt hatte, bis sie es ihnen nachmachten und dann hastig zu ihnen aufschlossen um zu handeln.

Es war unmöglich das in Worte zu fassen, aber sie fanden, dass das, was sie trotzdem zustande brachten, genügen werden müsse. Waren die Briefe geschrieben, schickten sie sie zusammen mit den Fotodosen und der verbrauchten Karte nach hause. Sie konnten sich zwar erst sicher sein. das alles ankommen würde, wenn sie wieder zuhause ankommen würden, aber für den Moment würde auch das genügen müssen.

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